Brücke in die Zukunft: Wie Künstliche Intelligenz hilft, Schäden früh zu erkennen

Überführungen, Tunnel und andere Bauwerke altern. Um Schäden rechtzeitig zu identifizieren, entwickelt ein Forscherteam im Rahmen des mFUND-Projekts „IDA-KI“ Methoden zur Echtzeit-Überwachung. Dabei spielt Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle – und eine Brücke in Bautzen, die einzigartig auf der Welt ist.
Brücken sichern unsere Mobilität und tragen tonnenschwere Lasten. Ein plötzlicher Einsturz wäre fatal – für den Verkehr, für die Wirtschaft, für Menschenleben. Wie geht es den Brücken Deutschlands? Dieser Frage gehen Bauwerksprüferinnen und prüfer nach. Sie suchen nach Rissen, Korrosions- und Ermüdungserscheinungen. Die Hauptprüfung erfolgt alle sechs Jahre, was dazu führen kann, dass Schäden zum Teil erst relativ spät festgestellt werden. Kostspielige Sanierungsmaßnahmen sind die Folgen. Und nicht nur das: Viele Bauwerke müssen vorübergehend aus dem Verkehr gezogen werden. Der Bauingenieur Max Herbers sagt: „Die Sperrung einer Brücke kann die Volkswirtschaft bis zu einer Million Euro pro Tag kosten – über mehrere Jahre summiert sich das auf Milliarden.“
Max Herbers und sein Team von „IDA-KI“ wollen das ändern. Ihre Vision: weg vom reaktiven Vorgehen, hin zu einem proaktiven Monitoring von Infrastrukturdaten. Veränderungen des Strukturverhaltens einer Brücke sollen Expertinnen und Experten mithilfe intelligenter messtechnischer Überwachung frühzeitig erkennen. Dabei ermöglichen KI-basierte Auswertungsverfahren eine automatisierte Unterscheidung zwischen Schäden am Bauwerk und Messfehlern, wodurch sich zu jedem Zeitpunkt Aussagen über den Zustand des Bauwerks machen lassen. Treten kritische Veränderungen auf, können die Beteiligten direkt Handlungsmaßnahmen einleiten, was Instandhaltungskosten verringert und Verkehrsbehinderungen reduziert. Hinzu kommt: Die Messdaten lassen sich in Zukunft in Prognosemodelle integrieren, was den Weg zur vorausschauenden Instandhaltung ebnet – zur „Predictive Maintenance“. Diese ermöglicht Vorhersagen zum optimalen Wartungszeitpunkt. Wie zuverlässig die Sensordaten Schäden in ihrem Frühstadium anzeigen – das ist aktuell Gegenstand der Forschung.
Blick in die Brücke: So arbeitet „IDA-KI“
Innovatives Bauwerksmonitoring kann die Lebensdauer von technischen Anlagen verlängern, den Aufwand für das Beheben von Schäden sowie Risiken für Wirtschaft und Gesellschaft minimieren. Wie genau das funktionieren kann, zeigt das vom BMDV geförderte mFUND-Projekt „IDA-KI“ (Infrastrukturdatenauswertung mit künstlicher Intelligenz). Im Fokus stehen das forschende Team um Max Herbers von der Technischen Universität Dresden und eine Forschungsbrücke als „openLAB“.
Die Versuchsbrücke steht im sächsischen Bautzen, abgeschottet vom Realverkehr auf dem Firmengelände der Hentschke Bau GmbH. Auf dem 45 Meter langen Forschungsobjekt fährt ein tonnenschwerer Schienenwagen und simuliert Belastungen bis zur Schmerzgrenze – bis sich beispielsweise die Betonträger dehnen oder neigen. Zusätzlich ist die Brücke mit über 1,5 Kilometer langen Glasfaserkabeln ausgestattet. Diese sammeln – wie ein Fitnesstracker die Gesundheitsdaten eines Menschen – Informationen über den Zustand der Brücke.
Was die Sensoren an der Bautzener Spannbetonbrücke messen

Erkunde jetzt die Messtechnik
-
Messgröße 1
Faseroptische Sensoren messen Dehnungen, anhand derer die Expertinnen und Experten Informationen über das Rissbild und die Vorspannung ableiten.
-
Messgröße 2
Beschleunigungssensoren registrieren Schwingungen der Brücke – hervorgerufen durch die Überfahrten des Schienenwagens oder durch vorbeifahrenden Schwerverkehr.
-
Messgröße 3
Neigungssensoren messen lokale Neigungen, die Aufschluss über das Verformungsverhalten geben.
-
Messgröße 4
Temperatursensoren innerhalb des Betons erfassen, ob sich die Bauteile erwärmen oder abkühlen.
Von der im Jahr 2024 fertiggestellten Bautzener Forschungsbrücke existiert ein virtuelles Abbild – ein digitaler Zwilling. Dieser wird mit allen Sensordaten versorgt. Treten Auffälligkeiten auf, schlägt er Alarm. Die Brücke meldet mithilfe ihres virtuellen Ebenbildes also potentielle Schäden selbst. Das Entscheidende dabei: Sie tut das in Echtzeit. Kleinste Abweichungen vom Normalzustand registriert der digitale Zwilling unmittelbar, sodass gezielte Instandhaltungsmaßnahmen rasch eingeleitet werden könnten.
39.818
Brücken
hat das Bundesfernstraßen-Netz in Deutschland.
3,85 Mio
Euro
beträgt das Gesamtvolumen des Projekts „IDA-KI“. Davon werden 62 Prozent vom BMDV gefördert.
Welche Rolle spielt hierbei Künstliche Intelligenz? Durch die Echtzeiterhebung fallen viele Daten an, deren Auswertung und Interpretation komplex ist. Hierfür nutzt das Team um Max Herbers moderne Tools: „Statt die Daten manuell zu betrachten, setzen wir auf KI-gestützte Verfahren, die Messwerte automatisch analysieren.“ Das sorgt nicht nur für Zeitersparnis. Auch können konventionelle Verfahren bisher kaum feststellen, ob es sich bei den gemessenen Anomalien tatsächlich um Schäden am Bauwerk handelt oder um Messfehler. „Mithilfe der KI können wir diese Differenzierung nun vornehmen“, so Herbers. Das zu unterscheiden, ist ein entscheidender Schritt, um schnellstmöglich auf kritische Veränderungen am Bauwerk zu reagieren.
Blaupause für die weltweite Forschung
Die im Rahmen von „IDA-KI“ erhobenen Realdaten liefern eine wertvolle Basis für internationale Forscherinnen und Forscher. Dadurch lassen sich neue Auswertungsverfahren erproben. In der Brücke sind zudem verschiedene Bauweisen kombiniert, welche die Übertragbarkeit der Messungen erhöhen und sie für unterschiedliche Brücken anwendbar machen. Das Potential von „IDA-KI“ ist auch deshalb groß, weil die Forschenden auf Basis der BIM-Methodik (Building Information Modeling) arbeiten. Das heißt: Das Bautzener Team führt Daten aus verschiedenen Quellen zusammen und schafft ein umfassendes digitales Abbild des Bauwerks. Im Gegensatz zu isolierten Datensilos vernetzen sie Informationen wie Geometrie, Materialien, Zustandsdaten und Wartungspläne. Durch diesen „Linked-Data“-Ansatz lassen sich Fachmodelle verschiedener Disziplinen (z. B. Architektur, Statik und Monitoring) nahtlos kombinieren, was die Zusammenarbeit zwischen Disziplinen sowie die Planung und Steuerung über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks erleichtert. Durch die konsistenten und maschinenlesbaren Informationen unterstützt „IDA-KI“ Forschende weltweit.
„Wir versetzen die Forschungsbrücke gezielt in einen starken Schädigungszustand, um mit modernster Messtechnik charakteristische Messsignale aufzuzeichnen.“
Gut verkabelt: Sensoren messen jede Verformung der Forschungsbrücke


Noch befindet sich das Projekt in der Referenzphase. „In dieser erfassen wir das Verhalten des Bauwerks unter normalen Umgebungsbedingungen. Dazu gehören etwa Temperaturänderungen und moderate Verkehrseinwirkungen“, berichtet Herbers. Im Anschluss beginnt die Schädigungsphase. „Im Mai dieses Jahres [2025] werden wir den ersten gezielten Belastungstest an der Brücke durchführen. Dazu installieren wir eine umfangreiche Versuchseinrichtung. Wir versetzen die Forschungsbrücke gezielt in einen starken Schädigungszustand, um mit modernster Messtechnik charakteristische Messsignale aufzuzeichnen.“ Dadurch wollen die Expertinnen und Experten ermitteln, welche Schäden die Sensoren tatsächlich bemerken und an den digitalen Zwilling übermitteln. Herbers: „Zahlreiche Forschungspartner, die an unserem Projekt beteiligt sind, werden ebenfalls vor Ort sein. Sie nutzen die Gelegenheit, um mit ihren Messsystemen relevante Daten zu erfassen.“ So bleiben die Daten nicht nur in Bautzen – sie gehen um die Welt. Die globale Bauwerksüberprüfung steht damit vor einer Entwicklung, die vor einigen Jahren undenkbar war und dem Versprechen näherkommt, Brücken, Tunnel und Co. über viele Jahrzehnte, ohne längere Unterbrechungen, nutzbar zu machen.