MINOS: Freie Bahn fürs Blaulicht
Immer wieder stehen Rettungsfahrzeuge vor geschlossenen Bahnübergängen. Ein forschungsorientiertes Team will künftig die Schließzeit von Schranken möglichst zuverlässig vorhersagen – damit dem Leben nichts mehr in die Quere kommt.
Mit hohem Tempo steuert der Sanitäter den Wagen durch die Straßen. Das Martinshorn ertönt. Autos und Motorräder weichen aus. Allen ist klar: Jetzt muss es schnell gehen. Im Rettungsfahrzeug befindet sich ein verunglückter Radfahrer, für den jede Hilfe rechtzeitig kommen muss. Doch dann folgt, was für Rettungskräfte schwer hinnehmbar ist: ein geschlossener Bahnübergang. Sekunden vergehen, Minuten. Nichts bewegt sich. Momente wie diese können Menschenleben kosten – und kommen leider in dieser oder vergleichbaren Weise immer wieder vor.
13.500
Bahnübergänge
gibt es in Deutschland (Stand 2023). Quelle: DB InfraGO
4
Minuten
sollten Schranken maximal schließen – manchmal dauert es länger. Quelle: TÜV Nord
16,1 Mio
Einsatzfahrten
leistet der öffentliche Rettungsdienst im Jahr (Analysezeitraum 2020-2021). Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen
3,2 Mio.
Euro
Projektvolumen hat MINOS. Quelle: Neovendi GmbH
In Zukunft könnte das Dateninnovations-Projekt MINOS (Mobility Infrastructure Online Services) Situationen dieser Art abwenden. Von der rheinländischen Neovendi GmbH im August 2023 ins Leben gerufen, arbeiten die Projektbeteiligten an einer Smartphone-App. Konkret soll die Anwendung vorhersagen, ob ein Bahnübergang beim Eintreffen des Einsatzfahrzeuges offen oder geschlossen ist. Rettungskräfte könnten dadurch wertvolle Minuten gewinnen und Umwege vermeiden – denn häufig umfahren sie Bahnübergänge vorsorglich, selbst wenn diese möglicherweise geöffnet sind, um Wartezeiten zu entgehen.
Wir müssen die Menschen mit neuen Anwendungen, die sie nutzen sollen, erst vertraut machen. Dies braucht Zeit. Aber wenn es so weit ist, könnte die App wirklich Leben retten.
„Die Anwendung basiert auf einem intelligenten Algorithmus, der verschiedene Datenquellen auswertet“, erläutert die Projektleiterin Kerstin Keil von der Neovendi GmbH. Ob Tagesfahrpläne, die Lage von Bahnübergängen an Bahnstrecken, die maximalen Zug- und Streckengeschwindigkeiten und die aktuellen Zugstandorte: All diese Daten sammelt die App und führt sie zu einer belastbaren Vorhersage zusammen, wann die Schranke frühestens geschlossen sein wird. „Dadurch können Verkehrsteilnehmende abschätzen, ob sie den geöffneten Bahnübergang rechtzeitig erreichen.“ Eine detaillierte Streckenplanung werde die App jedoch nicht bieten, so Keil.
Ein sensibles Thema für die Deutsche Bahn
Um den Algorithmus weiter zu verbessern und zuverlässige Daten in die App zu speisen, ist das am Projekt beteiligte Forschungsteam der Hochschule Mainz auf einen verlässlichen Datenaustausch mit der Deutschen Bahn (DB) angewiesen. Für die DB sei es noch ein recht neues und sensibles Thema, ihre Daten mit externen Partnern zu teilen, so die Projektleiterin. „Bisher stellt das Infrastrukturunternehmen der DB, die DB InfraGO, viele Daten nur unternehmensintern zur Verfügung.“ Beide Seiten, die DB und die Hochschule Mainz, arbeiten aber laut Kerstin Keil derzeit an einer Lösung, damit der Datentransfer zuverlässiger und effizienter wird.
„Nicht zu viel und nicht zu wenig.“
Auch mit Rettungskräften arbeitet das MINOS-Team zusammen. In der aktuellen Projektphase entwickeln die Forschenden in Rücksprache mit der Feuerwehr ein Konzept für die App. Die Anwendung muss vor allem in stressigen Einsatzsituationen intuitiv zu bedienen sein. Daher sollte die App nur die notwendigen Informationen in kompakter Form enthalten. Keil: „Nicht zu viel und nicht zu wenig. Die Einsatzkräfte stehen ja unter Strom.“ In den verbleibenden zwei Jahren der insgesamt dreijährigen Projektlaufzeit befassen sich die MINOS-Beteiligten auch damit, wie die Daten beständig in die App gelangen. Dafür entwickeln die Forschenden einen Prototyp. Wann die App des MINOS-Projekts für die Rettungskräfte verfügbar sein wird, kann die MINOS-Projektleiterin noch nicht sicher sagen. Digitale Systeme neu einzuführen, bedeute, sich in komplexe Lernprozesse zu begeben. „Wir müssen die Menschen mit neuen Anwendungen, die sie nutzen sollen, erst vertraut machen. Dies braucht Zeit. Aber wenn es so weit ist, könnte die App wirklich Leben retten”, ist Keil überzeugt. Diese Ansicht teilt auch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) und fördert daher das MINOS-Dateninnovationsprojekt über die gesamte Laufzeit anteilig mit rund 70 Prozent des Projektgesamtvolumens in Höhe von knapp 3,3 Millionen Euro.